Poetische Überfälle

Als sei in meinem Hirn ein Ort entstanden,
an welchem Bilder, Verse, Reime blühen,
die mir im Ohre klingen, bis sie landen
auf dem Papier, geschrieben ohne Mühe.

Wie Quellen, die aus Felsen plötzlich springen,
so sprudeln mir die Worte in den Sinn.
Es ist, als ob in mir die Sprache singe
und leichthin sage, was zu schreiben hin.

Wie eine Sucht, ich kann mich kaum erwehren,
so stürzen Reime, Verse auf mich ein,
als wolle wer ein volles Fass entleeren,
bevor er ’s rollt in seinen Keller rein.

Wie kann man es erahnen, auch ermessen,
was sich geheimnisvoll zuweilen zeigt.
Lässt doch Vernunft die Wunder meist vergessen,
wenn sie sich nüchtern über ’s Leben neigt.

„Wer lässt sich denn von Worten so betören“,
fragt sie, „sich Zeit und Sinne rauben gar,
dass er, fast Sprachrohr nur, sanft mag beschwören,
was lebt, in Versen fühlt, poetisch? Narr!“

Ein Spiel ist wohl mein süchtig’ Dichten nur,
das mich schon früh am Morgen wirken lässt;
und doch, was in mir klingt, der Verse Spur,
das hält mich wunderbar umfangen, fest.

Ingrid Herta Drewing

Selbstgespräch eines Amateurs

Nicht jeder, der reimt, ist ein Dichter.
Nicht alles, was blüht, trägt auch Frucht.
Oft leiten des Traumes Gesichter
und locken in weltliche Flucht.

Da mag sich so mancher betäuben,
säuft süß sich an Worten satt.
Sieht schon der Bienen Bestäuben,
wähnt sich auf Zweig’s grünem Blatt.

So vieles auf Erden ist Spiel,
doch darum nicht weniger gut.
Such’ reinen Herzens dein Ziel,
verliere dabei nicht den Mut!

Dann mag dir vielleicht auch gelingen
das eine, das gute Gedicht,
in welchem das Leben wird singen.
Und mehr will ein Dichter wohl nicht.

Ingrid Herta Drewing