Hertelchen

Sie trug meist keine Hüte,
nahm mich in sichre Hut,
und ihre Herzensgüte
tat meiner Kindheit Blüte
so gut.

Ja, ihre Wärme,Liebe
nie forderte Verzicht.
Gab mir das Leben Hiebe,
und schien der Himmel trübe,
schenkte sie Licht.

© Ingrid Herta Drewing,2016

Das alte Karussell

Lebkuchen duften, süßes Glück
die Zuckerwatte, weiß wie Schnee.
Ein Lichtermeer verwöhnt den Blick,
und Sterne funkeln in der Höh‘.

Nostalgisch schön das Karussell
schickt kleine Pferdchen auf die Reise.
Es lässt sich Zeit, dreht sich nicht schnell,
und Lieder klingen lieblich, leise.

Ein Bild aus längst vergangnen Zeiten
ruft mir Erinnerung zurück,
seh‘ mich als Kind dort mutig reiten,
begleitet von der Mutter Blick.

Wie schön, dass manches bleibt erhalten,
webt weiter diesen Kindertraum,
dass nicht nur Digital-Gestalten
wild flimmern unterm Weihnachtsbaum!

© Ingrid Herta Drewing,2014

Kindheit im Nachkriegssommer

Wir spielten in Trümmern und staubigem Licht;
die Straße war unsere Welt,
beim Völkerball auch unser Feld.
Es war da nur selten ein Auto in Sicht;
dazu fehlte ja damals das Geld.

Wir waren noch klein, erlebten die Not
der Eltern aus anderem Blick
und fanden das kindliche Glück.
Doch brachten auch Waffenspiele den Tod,
manch Opfer durch Krieges Relikt.

Die Enge des Wohnraums trieb meist uns hinaus,
doch Freiheit konnten wir fühlen,
auf Wiesen, in Wäldern spielen.
Es hielt uns kein Gameboy, kein TV im Haus,
nichts ließ uns da neidvoll schielen.

Kein Zuckerschlecken, noch üppiger Schmaus!
Der Hunger hieß uns oft warten;
Gemüse aus Opas Garten
und Früchte trugen wir dankbar nach Haus,
ein frugales Mahl zu starten.

Im Sommer gab’s Graubrot, Zwiebeln, Tomaten
mit Salz, das konnt köstlich munden.
An Herzkirschen, prallen, runden,
den selbst gepflückten, wir uns gütlich taten
in unbeschwerten Stunden.

© Ingrid Herta Drewing,2014

Heimkehr

Im Abendrot der Zinnen Silhouette,
ein Schattenriss, dem Auge wohl bekannt.
Der Kindheit, Jugend lieb vertraute Stätte,
oh, dass man sie doch nie verlassen hätte!
Noch immer grüßt der Leuchtturm dort am Strand.

Erinnerungen flackern auf, es schwelen
die alten Feuer, ihre warme Glut,
die Bilder, die die Zeit schien zu verhehlen,
lebendig sich in Seel‘ und Sinne stehlen,
und du erfühlst sie, sagst : „ Es war doch gut!“

So schnell vergingen jene goldnen Jahre.
Nun streichst die Segel du im Abendwind
und weißt geborgen dich, bist dir im Klaren,
dein Boot darf in den Heimathafen fahren,
dorthin, wo alles seine Ruhe find‘.

© Ingrid Herta Drewing

Erinnerung

Wimpernwünsche,
ins Licht gepustet,
Schmetterlingsmärchen.
Der Kindheit Sommer
irrlichtern
in meinen Träumen,
entfliehen
dem Schleier
der Zeit.

© Ingrid Herta Drewing

Linde Erinnerung

Im Schatten der großen Linde,
dort auf der Bank unterm Baum,
spielt‘ ich als Kind; milde Winde
mischten den Duft so gelinde,
erblühend ein Sommertagstraum.

Hier ließ auch Liebe uns kosen,
noch wächst das Herz mit der Rinde.
Jung waren wir, glücklich; Rosen
sollten erglühen, kein Losen
führen in Dornengebinde.

Der Jugend Liebe verloren,
gemausert aus Frühlings Flaum.
Die Linde, die wir erkoren,
sie grünt noch,wie neu geboren,
verliert ihr Leuchten wohl kaum.

© Ingrid Herta Drewing

Seltsame Überraschung an Heiligabend

Von allen Festen des Jahres ist auch für mich Weihnachten das schönste; das ist seit meiner Kindheit so.Obwohl wir, im Gegensatz zu Kindern von heute, in der Nachkriegszeit wenig an Geschenken zu erwarten hatten, war Heiligabend immer etwas Besonderes.Wir freuten uns, im Kreise der Familie vor dem strahlenden Lichterbaum zu stehen, gemeinsam zu singen und zu schauen, ob wieder eine neue Kugel, ein Glöckchen oder ein Glasvögelchen zu sehen war, das das Christkind uns gebracht hatte, was wir andächtig bewunderten.Die Großen wussten natürlich, dass wir das dem Christkind in Gestalt unseres Vaters zu verdanken hatten, dessen Domäne der Weihnachtsbaum war.Er sparte das ganze Jahr über,um eine kleine Kostbarkeit auf dem Weihnachtsmarkt zu erwerben, die neben den aus Papier geflochtenen, bemalten Sternen die Schönheit des Christbaumes bereicherte.
Weihnachten war bei uns auch immer das Fest der Großfamilie. Da einige der Onkel und Tanten noch keine Kinder hatten und meine Mutter das Herz ihrer Familie war( sie hatte nach dem Tod ihrer Mutter quasi ihre jüngeren Geschwister groß gezogen), feierten sie alle das Fest mit uns.Sie gaben auch dem Christkind schon einmal ein schönes Geschenk für uns mit. Beschert wurde immer erst, wenn alle erwarteten Verwandten da waren.
Das war für uns Kinder stets sehr aufregend, da einige recht spät von der Arbeit kamen; so auch Herta, meine Patentante und jüngste Schwester meiner Mutter, von allen nur Hertelchen genannt.
Sie war die liebste Tante der Welt, gütig und liebevoll.Nie hörten wir ein böses Wort von ihr. Für mich war sie wie eine zweite Mutter. Nachdem sie ihr sechs Monate altes Töchterchen Ursula durch eine schwere Krankheit im Krieg ein halbes Jahr vor meiner Geburt verloren hatte, schenkte sie mir all ihre Liebe.
Meistens kam sie an Heiligabend als letzte. Wenn sie da war, konnte die Bescherung endlich beginnen.

Wolfi, mein kleiner Bruder,hatte vor Aufregung rote Wangen und konnte die Spannung kaum ertragen. Immer wieder spähte er durchs Schlüsselloch ins Weihnachtszimmer, versicherte, er habe das Christkind hin-und herschweben gesehen und gehört, dass ein Glöckchen geläutet habe. Wir müssten nun endlich zum Weihnachtsbaum gehen.Mutter beruhigte ihn dann, so gut es ging, und wir vertrieben uns die Wartezeit, indem wir die Lieder und Gedichte, die wir vortragen wollten,noch einmal übten.Ich spielte Blockflöte, lauerte aber insgeheim,ob ich nicht Hertelchens Schritte oder das Klingeln an der Wohnungstür hörte. Denn wenn sie eintraf, das lehrte die Erfahrung, ließ auch das Christkind nicht mehr lange auf sich warten.
So war es auch an Heiligabend 1951. Endlich läutete es an der Wohnungstür.Ich stürmte vor, um die geliebte Tante zu empfangen, öffnete freudig die Tür,blieb aber plötzlich, wie zur Salzsäule erstarrt, stehen.Blass vor Schreck musste ich die Umarmung, besser gesagt Umpfotung, einer riesigen, gelbbraunen Dogge ertragen. Sie hatte die Vorderbeine über meine Schultern gelegt und leckte mich mit ihrer langen Zunge im ganzen Gesicht ab.Was das Tier wohl als Liebesbeweis ansah, war für mich ein Schock;statt meine geliebte Tante zu herzen, war ich diesem tierischen Überfall ausgesetzt.Zum Glück war diese Dogge ansonsten ungefährlich und gehorchte schnell wieder ihrem Herrn, der sie zur Räson rief.
Dieser Mann war ein Uhrmacher, der Vater, wie versprochen, noch schnell eine reparierte Armbanduhr, das Weihnachtsgeschenk für Mutter,vorbeibrachte. Vater war erleichtert, dass er endlich noch gekommen war. Auch ich erholte mich schnell wieder von der unheimlichen Überraschung, als die erwartete, liebe Tante kam und wir alle gemeinsam einen wunderschönen Heiligabend feierten.
Dennoch muss ich heute manchmal noch an dieses Erlebnis denken, wenn ich eine Dogge sehe, und wechsle dann die Straßenseite.

© Ingrid Herta Drewing

Mein Hund

Ich hatte, als ich Kind war, einen Dackel.
Recht eigenwillig war der kleine Hund,
wenn er was wollte, gab es kein Gefackel,
und manches Mal trieb er es all zu bunt.

Mein Dackelchen, das hatte lange Haare
und treue Mandelaugen, dunkelbraun.
Es grenzte schon ans Wunderbare,
was er erreichte durch sein liebes Schauen.

Wir beide tollten munter durch die Wälder
und durch die Wiesen, viele Jahre lang,
vorbei an Gärten, über Stoppelfelder.
Mit meinem Dackel war mir niemals bang.

Denn er war treu, wich mir nicht von der Seite;
und als ich einmal viele Tage krank,
saß er am Bett und suchte nicht das Weite,
sah mich lieb an, als gelte mir sei Dank.

Und als ihn, hoch betagt, der Tod genommen,
verschwamm in Tränen meiner Kindheit Licht.
Mein treuer Hund würd’ nie mehr zu mir kommen.
Ich sollte tapfer sein, doch konnt’ ich’s nicht.

Ingrid Herta Drewing

Murmelspiel

Endlich Frühling! Wie habe ich auch als Kind immer diese Jahreszeit herbeigesehnt. Je länger die Tage wurden, desto länger durften wir im Freien spielen. Und das war wohltuend, lebten wir doch in der Nachkriegszeit wegen der Wohnungsnot noch recht eingepfercht.
Endlich die Freiheit genießen! Die Straße, gesäumt von Trümmergrundstücken, war unser Spielplatz. Oft spielten wir, wenn sich ein Ball fand, mit über dreißig Kindern mitten auf der Straße Völkerball. Denn Autos fuhren da kaum. Es gab in der Gegend nur einen alten DKW, der dem Spengler aus der Nachbarschaft gehörte.Aber dieses Auto röhrte so laut, dass wir es schon von weitem hören konnten, und außerdem tuckerte es recht langsam.
Obwohl ich als Mädchen, dem damaligen Rollenmuster entsprechend, zu Hause mit meiner Puppe spielen oder bei der Hausarbeit helfen sollte , wie das andere Mädchen aus unserer Straße auch meistens taten, tobte ich lieber draußen mit meinen Brüdern herum und riskierte es, als „ Gassenkind „ zu gelten.
Mir war schon früh aufgefallen, dass Jungen viel mehr Spielraum hatten und Spannenderes als Mädchen machen durften. Während ich meinen verhassten dunkelblauen Faltenrock, den ich sonntags zu tragen hatte, immer artig ausbürstete, konnten meine Brüder ihre schmutzigen Hände an ihrer Lederhose abputzen, weil die ja dann noch zünftiger aussah.
Zum Glück ließen mich meine Eltern ansonsten gewähren; wahrscheinlich im eigenen Interesse, um in Ruhe arbeiten zu können.
Wie ein Junge gekleidet, ich trug beim Spielen die Lederhose, die meinem älteren Bruder nicht mehr passte, und mit kurz geschnittenem Haar fühlte ich mich im Alter von zehn Jahren fast wie ein Junge.
Da ich auch hart im Nehmen war, ich fing beim Ballspiel auch die „hart gebolzten“ Bälle, akzeptierten mich die Jungs auf der Straße wie einen Kumpel und ließen mich mitspielen.
Unsere Spiele veränderten sich mit dem zeitlichen Abstand zum Kriegsende. Spielten wir anfangs noch „Der Kaiser schickt seine Soldaten aus“ oder „Deutschland erklärt den Krieg gegen…“, wobei es um Landgewinn ging, so wurden die Spiele allmählich friedlicher. Die Mädchen entwickelten eine Vorliebe für Seilhüpfen und Hickeln, die Jungen bevorzugten Mannschaftsspiele aller Art.

Ein Spiel gefiel aber allen im Frühling, das Murmelspiel. Waren es zunächst noch angemalte Tonklicker, die es in schillernden Farben gab( sogar mit Silber- und Goldschimmer), so kamen nach und nach auch wunderschöne Glasmurmeln ins Spiel.
Da wir vier Kinder waren und meine Eltern hart arbeiten mussten, um die Existenz der Familie zu sichern, konnte ich für solche Kinkerlitzchen kein Geld erwarten. Aber ich war geschickt im Klickerspiel und kam auch so zu den begehrten Glaskugeln.
Für das Murmelspiel drehten wir, wenn wir kein schon vorhandenes Klickerloch fanden, meistens mit dem Absatz unseres Schuhs ein neues in den Lehmboden. Dann stellten sich die Spieler in einem Abstand von 3 bis 4 Metern davor auf und warfen ihre Murmeln in Richtung Loch. Der Reihe nach durfte man dann versuchen, die Klicker oder Glaskugeln ins Loch zu knipsen. So lange man traf, war man am Zug. Wer die letzte Kugel ins Loch schoss, dem gehörte der gesamte Inhalt. Oft waren es die besser betuchten Einzelkinder, die gleich mit einem ganzen Sack neu gekaufter Glaskugeln anrückten und dann natürlich auch mitspielen wollten. Sie tauschten dann schon gern einmal eine Glaskugel gegen drei Tonkugeln ein. Und manchmal verloren sie dann im Spiel den größten Teil ihres Schatzes. So wurde auch ich stolze Besitzerin von einigen Glaskugeln, die ich dann abends, wenn ich nachhause kam, wusch, blank rieb und sorgsam nach Größe und Farbe sortierte. Da gab es die „Röschen“,mit einem in durchsichtiges Glas eingeschlossenen Blümchen in Rot, Gelb oder Blau, die „Farbschlangen“, die „Bullas“, die fünf kleine Murmeln wert waren, und die „Regenbogenkugeln“ in ihren schillernden Farben. Ein wahrer Schatz für einen passionierten Murmelspieler.
Ich liebte das Murmelspiel, das ich sehr gut beherrschte und vergaß beim Spielen schon einmal die Zeit, was mich einmal in Schwierigkeiten brachte.
Damals hatten wir auch samstags Schulunterricht, und ich kam dann immer so um 13.30 Uhr heim.
An einem strahlenden Samstag im Frühling traf ich auf meinem langen Heimweg( wir fuhren damals nicht mit dem Bus zur Schule) fast in jeder Straße auf Kinder,
die Murmeln spielten, und ich konnte es mir nicht verkneifen, da mitzumachen, zumal ich drei Glaskugeln in der Tasche hatte. An diesem Tag war mir das Spielerglück hold. Ich gewann unaufhörlich, und ich hatte über 100 Glaskugeln in meiner Jackentasche, als ich nach Hause kam.
Ein siegreicher, römischer Feldherr kann wohl kaum mehr Stolz und Freude empfunden haben bei seinem Triumphmarsch in Rom. Doch dieses Glücksgefühl über meinen Beutezug währte nicht lange. Da gab es nämlich weder Jubel noch Lob.
Stattdessen empfing mich meine Mutter mit einer ungewohnt eisigen Miene und schimpfte: “Mein liebes Mädchen, was fällt dir ein, so spät nachhause zu kommen, zwei Stunden zu spät bist du! Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht, wo warst du?“
Als ich erklärte, dass ich beim Murmelspiel wegen meiner Glückssträhne die Zeit vergessen hätte, und, um Verständnis heischend, meinen Schatz an Glaskugeln präsentierte, riss meiner Mutter der Geduldsfaden, und sie verdonnerte mich zu vierzehn Tagen Hausarrest. Nicht raus zu dürfen, das war damals die schlimmste Strafe für mich. Aber ich sah ein, dass ich mich falsch verhalten hatte.

Die Strafe wurde vollzogen und obwohl ich sehr gerne Bücher las, wofür ich dann ausgiebig Zeit hatte, war es hart für mich, bei dem schönen Wetter nicht mit den anderen Kindern im Freien spielen zu dürfen.
Dennoch war das für mich eine wirkungsvolle Erfahrung , und ich hielt mich fortan an die zeitlichen Abmachungen, was besonders später in der Pubertät nicht immer leicht war, wenn die anderen nach dem Jugendabend noch länger an der Litfasssäule miteinander plauschten, während ich gehen musste, um pünktlich zu Hause zu sein.
Aber rückblickend bin ich meiner Mutter für ihre konsequente Erziehung dankbar, zumal ich, selbst heute Mutter von vier Kindern, weiß, wie schwer es auch für Eltern ist, konsequent zu sein.

Ingrid Herta Drewing

Weihnachtsbaum

Der alte Christbaumschmuck aus Kindertagen
erweckt mir zärtlich die Erinnerung,
beglückt mich, will mir flüsternd sagen,
wie traulich doch die Zeit war, als ich jung.

Die Vögelchen, die Vater stolz erstanden
in einer Zeit, da Flitter Luxus war;
wie freuten wir uns da, als wir sie fanden,
hoch auf den Zweigen sitzend, lebensnah!

Und jene Glöckchen, deren zartes Läuten
im Weihnachtszimmer vor Bescherung klang,
sie konnten heimlich leise uns bedeuten,
das dort das Christkind mit den Engeln sang.

Vom Weihnachtsbaum verzaubert, mit Entzücken,
den singend wir andächtig angeschaut,
wie waren wir in unsrem Kinderglücke,
mit einer wunderbaren Welt vertraut!

Ingrid Herta Drewing