Archive for the Category Autobiografisches

 
 

Lagerfeuer-Romantik

Feuer lodert, Funken stieben
in die dunkelblaue Nacht;
die am Lagerfeuer blieben,
singen leise, halten Wacht.

Unter Sternen träumend lauschen,
in der lauen Sommerluft
hören wir die Wipfel rauschen
und der Waldkauz dunkel ruft.

Fühlen innig uns verbunden
der Natur in Feld und Wald,
haben unser Glück gefunden;
Schlaf besiegt uns nicht so bald

Bis die Morgennebel fliehen,
sitzen wir beim Feuerschein,
sehn das letzte Scheit verglühen,
und nun lädt der See uns ein.

Hier im Sonnengold wir schwimmen,
das sich spiegelt hell im See.
Jugendfreude froher Stimmen
hallt als Echo in die Höh‘.

© Ingrid Herta Seibel ( Drewing )1958

Mutters Stärke

Bau

Nie hätte ich geglaubt, als ich war Kind,

dass Mütter wirklich Schwächen haben können.

Nur ihre Kraft und Liebe  konnt’ ich nennen;

die Bilder, die noch heut’ vertraut mir sind,

obwohl vom Kindsein mich Jahrzehnte trennen.

In einer Zeit, die so beherrscht von Not,

beglückte, Mutter, uns dein frohes Wesen .

In deinen Armen konnten wir genesen,

du sorgtest immer für das täglich’ Brot

wie schlimm die Wirtschaftslage auch gewesen.

Ich höre heute noch die hellen Lieder,

hab’ auch dein liebes Lachen klar im Ohr,

du hattest einen herrlichen Humor.

Ach könnt’ ich hören doch von dir noch einmal wieder,

wie wer in Lauterbach den Strumpf verlor!

Inrid Herta Drewing

Dichtend leben

Diso

Es rinnt das Leben mir aus meinen Händen,
ermattet schon, kaum aus dem Schlaf erwacht.
Nur noch im Dichten mag ich mich verschwenden,
in Worten sacht mein zagend Ich erwacht.

Ich schreibe sie, als seien sie mein Leben
und tauche glücklich in die Verse ein,
als fände hierin mein vergänglich Streben
sich im Gedicht in seiner Heimstatt ein.

Die Wörter fließen, finden sich zu Sätzen,
als hauche mir ein fremder Sinn die Zeilen ein
und fange sie mit unsichtbaren Netzen
in Metren und in Reimen sorgsam ein .

Ob solch ein Fischzug wirklich mag gelingen,
obwohl doch niemand seine Netze warf,
ob Wohlklang kann entstehen in dem Singen,
das sich nur selber hören, prüfen darf?

Ich weiß es nicht, das wird sich alles zeigen,
wenn schließlich mir der letzte Morgen naht,
weil dann sogar die schönsten Klänge schweigen,
und die Musik verliert sich auf dem Pfad.

Dann mögen andre helle Flügel schwingen
und meiner Seele leichte Feder sein.
Ich kehre ein, wo alle schweren Dinge
sich lösen zärtlich auf im Lichte rein.

Ingrid Herta Drewing

Die Unterschrift

Ich hatte gerade die Fehlerberichtigung einer Klassenarbeit durchgelesen und überprüfte nun, ob die Kenntnisnahme der Leistung und der Note durch die Unterschrift eines Elternteils bestätigt worden war, und stutzte. Das sah doch ganz nach einer Fälschung aus! Sollte der Junge die Unterschrift seines Vaters nachgeahmt haben? Sollte er sich davor gefürchtet haben , die Note ausreichend zu Hause vorzuzeigen? Was sollte ich tun? Ihn auf meinen Verdacht hin ansprechen oder es übersehen und ihn im Auge behalten? Da musste ich sensibel vorgehen, das wusste ich aus eigener Erfahrung.

Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Demütigung, die ich als Schülerin der sechsten Klasse erlitten hatte.Unser Englischlehrer, für den wir alle an unserer Mädchenschule schwärmten, war er doch einer der wenigen jüngeren Lehrer, die wir in den 50iger Jahren an der Schule erlebten, war der Anlass meines Kummers gewesen! Wenn ich heute daran zurückdenke, frage ich mich, wo er seinen pädagogischen Sachverstand und sein Einfühlungsvermögen an diesem Tag gelassen hatte. Aber Gesetz und Ordnung beherrschten damals noch vorrangig den Schulalltag.

Tatsache war, als er durch die Klasse ging und die Unterschriften kontrollierte, glaubte er, ich hätte die Unterschrift unter meiner Englischarbeit gefälscht. Zugegeben, sie unterschied sich stark von den vorherigen Unterschriften, denn sie war nicht in Schreibschrift gehalten, sondern in sehr schöner Druckschrift. Weinend beteuerte ich ihm meine Unschuld ,sagte wiederholt, meine Mutter habe die Arbeit unterschrieben, was ja auch wirklich der Wahrheit entsprach. Er glaubte es mir nicht, und was am schlimmsten war, er stellte mich vor der ganzen Klasse bloß und bezog sogar meine Mutter in diese Demütigung mit ein, indem er eine Mitschülerin noch während der Unterrichtszeit zu uns nach Hause schickte. Sie sollte meine Mutter zu dem Fall befragen. Ich fühlte mich behandelt wie ein Schwerverbrecher und schämte mich, obwohl ich ja gar nichts ausgefressen hatte.

Meine Mutter bestätigte die Richtigkeit meiner Aussage, machte sich aber Vorwürfe. Sie war nämlich über meine Zwei in der Englischarbeit so erfreut, dass sie besonders schön unterschreiben wollte und hatte dafür ihre Druckschrift gewählt.

Wie hatte mein Englischlehrer nur annehmen können, dass ein Kind seine gute Note nicht den Eltern vorzeigt? Wahrscheinlich war er davon ausgegangen, dass ich es vergessen und deshalb nun aus Furcht vor einem „Ordnungsstrich“ die Unterschrift vorgetäuscht hätte. Aber dabei hatte er übersehen, dass Ordnung dem Menschen dienen muss und nicht der Mensch der Ordnung. Sein Vorgehen war mehr als unverhältnismäßig.Damals ist mir bewusst geworden, wie schnell man durch geäußertes Misstrauen einen Menschen verletzen kann, besonders die zarte Seele eines Kindes.

Ich schloss das Arbeitsheft und nahm mir vor, meinem Schüler nichts von meinem Verdacht zu sagen, zumal ich seine Eltern am Elternsprechtag in einer Woche ohnehin über seinen befriedigenden schriftlichen Leistungsstand informieren würde. Zuvor wollte ich aber in einer Klassenleiterstunde anhand einer Beispielgeschichte aus dem Fundus “Noten und Angst“ das Problem allgemein thematisieren, um zu versuchen, meinen Schülern im Gespräch die Furcht vor Noten und dergl. zu nehmen.

Denn im angstfreien Raum lebt und lernt es sich besser.

Ingrid Drewing

Und die Sonne ging auf

Ich hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft und in der hinteren Reihe des Hörsaals einen Platz ergattert, bevor die Vorlesung begann, und hörte interessiert zu, was der Professor über die unterschiedliche Entwicklung ,die Motorik und den Bewegungsdrang von Kindern erklärte.

Oh ja, ich erinnerte mich, ich war auch ein sehr lebendiges Kind, milde ausgedrückt. Heutzutage würde man sagen, ich sei wohl etwas hyperaktiv gewesen. Aber dieser Begriff, der heute fast wie Falschgeld benutzt wird, war in der Nachkriegszeit nicht geläufig. Außerdem hatten wir Kinder damals genügend Raum, um uns auszutoben. Auf den Straßen fuhren nur sehr wenig Autos, und die Trümmergrundstücke waren phantastische Abenteuerspielplätze, wenn auch nicht immer ganz ungefährlich. Das Wippen auf den herausragenden Eisenträgern machte Spaß, und man konnte so allerlei entdecken und finden, was sich zum Spielen eignete. Da war auch kaum jemand da, der uns kontrollierte, denn die Erwachsenen waren damit beschäftigt, die Existenz zu sichern und das Land wieder aufzubauen.
Nur in der Schule, da musste man brav sein, still sitzen und schweigen, es sei denn, man war aufgerufen worden, was bei über 40 Kindern nicht so oft vorkam. Wie schwer war mir das im zweiten Grundschuljahr gefallen! Unser Klassenleiter, einer der vielen Lehrer, die der Krieg krank gemacht hatte, verlor schon mal bei uns Rasselbande die Nerven. Dass man sich dann mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen musste, war noch die harmloseste Art der Bestrafung. Wer Pech hatte, bekam den Rohrstock zu spüren oder musste einem nassen Schwamm oder einem Stück Kreide ausweichen. Meine Hände hatten schon mehrfach die Bekanntschaft mit dem Rohrstock gemacht. Über 40 Kinder zu bändigen, das war für die Nerven dieses Lehrers, der auch sehr nett sein konnte, zu viel. Und die Eintönigkeit seines Unterrichts zementierte die Misere. “Wenn alles schläft und einer spricht…“sagten wir später am Gymnasium zu so etwas. Nur damals als quirlige Zweitklässler waren wir sehr ausgeschlafen und voll Tatendrang, zumal es ja auch noch kein Fernsehen gab; wir brauchten Bewegung für Körper und Geist.
Während ich meinen Gedanken nachhing, war mir der Kuli, mit dem ich gespielt hatte, auf den Boden gefallen und lag der Kommilitonin neben mir zu Füßen. Als ich ihn aufhob und mich entschuldigte, stutzte ich. Obwohl sie wohl einem höheren Semester angehörte, kam sie mir bekannt vor. Sie erinnerte mich an meine Lehrerin, die unsere Klasse im 3. Schuljahr übernommen hatte.Wie gut ich mich daran erinnerte! Mit dem Erscheinen von Fräulein Pausewang in unserem Klassenzimmer war für uns Schüler die Sonne aufgegangen. Und das hatte nicht nur daran gelegen, dass sie jung und hübsch war und menschliche Wärme ausstrahlte, sie hatte auch eine für uns neue, wunderbare Art zu unterrichten und zu erziehen. Sie förderte unsre Phantasie und Kreativität in ihrem ganzheitlichen Unterricht, und endlich durften wir uns bewegen.Wir musizierten, spielten Theater, sagten Gedichte auf, und wir lernten dadurch unsere Sprache zu lieben. Sie weckte in uns die Freude an der Schönheit der Sprache und des gesprochenen Wortes, auch die Lust am Theaterspiel . Disziplin galt auch bei ihr, aber sie lenkte uns besonnen und gütig. Miteinander spielend lernen , das war wohl die Devise.Nur ein Jahr lang durfte ich bei ihr diesen Unterricht erleben, weil ich wegen unseres Umzugs die Schule wechseln musste. Aber die Begegnung mit dieser Lehrerpersönlichkeit wirkte nachhaltig.
Ich verwarf zunächst den Gedanken, bei meiner Nachbarin könne es sich um meine verehrte Lehrerin handeln, schließlich war sie ja damals schon eine gestandene Pädagogin gewesen. Dennoch sprach ich sie nach der Vorlesung darauf an.

Sie war es tatsächlich, Gudrun Pausewang, meine Grundschullehrerin!

Nachdem sie etliche Jahre in Südamerika an deutschen Schulen unterrichtet und sich auch als Schriftstellerin profiliert hatte, war sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt und studierte hier (wie ich kleines Erstsemester) an der Johannes-Gutenberg-Universität Germanistik.

Zum Glück hat sie sich nicht nur ihrer Berufung als Schriftstellerin gewidmet (sie ist ja heute eine mit vielen Preisen ausgezeichnete, berühmte Dichterin),sondern sie arbeitete bis 1989 auch als Lehrerin.
Wie sagt doch Sokrates?
„ Wer nicht nur seine eigenen, sondern auch anderer Eltern Kinder gut erzieht, der dient fürwahr einem Gott gefälligen Ziel.“

Das dunkelbraune Poesiealbum

Ja, es gibt sie noch immer, diese Poesiealben, wenn sie auch ein wenig anders gestaltet sind.

Heute schaut dich kein weißes Blatt mehr an und fordert dich indirekt auf, ja fein säuberlich zu schreiben und schöne Glanzbildchen einzukleben. Auf einem farbigen Hintergrund gibt es Fragen nach den Vorlieben und Abneigungen der eintragenden Person. So ein Freundschaftsbuch, wie es heute genannt wird, markiert aber meistens noch immer den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Als Teenager fühlt man sich schon ein wenig erwachsen und sammelt hier Eintragungen von Menschen, die man mag.
Damals in der Nachkriegszeit waren es überwiegend die Mädchen, die Poesiealben führten.11 Jahre war ich alt, als mich meine gleichaltrige Freundin Gudrun bat, mit ihr ins einzige Kaufhaus der Stadt zu kommen, um für sie ein Poesiealbum auszusuchen.

Ich hatte auch schon eifrig gespart, um eines kaufen zu können. Aber mir fehlten noch 3 DM. Das war damals viel Geld, z.B. kostete ein Bällchen Eis nur 10 Pfennige. Taschengeld gab es nicht. Wir waren vier Kinder, und unsere Eltern rackerten sich ohnehin schon ab, um die Familie durchzubringen. Frühestes in einem Monat, an meinem Geburtstag würde ich auch in der Lage sein, mir diesen Wunsch zu erfüllen.

Ich arbeitete damals immer einmal in der Woche nachmittags in der Stadtbücherei als Bücherkind. Da hatte ich Bücher, die zurückgegeben worden waren, wieder in die Regale einzusortieren. Der Vorteil dieser Tätigkeit war, dass ich mir kostenlos Bücher ausleihen konnte und außerdem 60 Pfennige verdiente. Nach jedem dieser „Arbeitstage“ ging ich, einen großen Stapel Lesefutter in der Tasche tragend, mit dem selbstverdienten Geld stolz nach Hause. So viele Bücher wie damals habe ich erst wieder in meiner Studienzeit gelesen.

Gudrun, als Einzelkind wohlhabender Eltern, bekam reichlich Taschengeld und konnte sich so einiges leisten, was mir versagt blieb. Aber das war (aus heutiger Sicht) nicht unbedingt von Nachteil für mich. Wäre ich sonst so hautnah an die vielen Bücher herangekommen? Gelegenheit macht Liebe! Hier galt das für mein Lesen ganz gewiss.

Im Kaufhaus angekommen,steuerten meine Freundin und ich in der Papierwarenabteilung zum Regal der Poesiealben. Das Angebot war nicht gerade überwältigend. Vier Alben gab es noch zu kaufen; drei waren dunkelbraun eingebunden, aber eines strahlte mich in leuchtendem Rot mit Goldrand geradezu an. Wie gerne hätte ich es jetzt schon besessen! Aber ich musste das Geld ja erst noch zusammensparen.

„Was meinst du, welches soll ich mir kaufen? Welches findest du am schönsten?“, fragte Gudrun, mich aus meinen Überlegungen holend.

Und plötzlich war sie da, die böse, egoistische Stimme: ‚Sag ja nicht das Rote, sonst kauft sie es sich, und du musst dich dann mit einem der braunen Restexemplare begnügen! So schnell gibt es hier keine neuen roten Alben zu kaufen!‘

„ Ich würde mir das braune Album kaufen, das gefällt mir am besten; das sieht irgendwie edel aus.“, log ich meine Freundin an. So ganz wohl war mir zwar dabei nicht. Aber ich beruhigte mein Gewissen, indem ich mir einzureden versuchte, es sei es ihr wohl nicht so wichtig wie mir . Gudrun folgte tatsächlich meinem verlogenen Rat und kaufte sich erfreut das dunkelbraune Poesiealbum.

„Lügen haben kurze Beine.“, sagt das Sprichwort. Meine Lüge hatte relativ lange Beine. Niemand erfuhr davon, nur ich wurde auf nachhaltige Weise von ihr eingeholt.Gudrun schenkte mir nämlich freudestrahlend zu meinem Geburtstag das dunkelbraune Poesiealbum, das ich mir ja quasi selbst ausgesucht hatte.

Das war mir eine Lehre, die mich ein Leben lang begleitet hat, die Erkenntnis, wohin Falschheit, Lüge und Egoismus führen .

Das dunkelbraune Poesiealbum bewahre ich übrigens noch immer auf.

Ingrid Drewing

Spinne

Ich webe, wie die Spinne baut ihr Netz,

ein Faden erst, Bild, Klang und ein Gedanke,

um den sich nun die Worte stimmig ranken,

sich rhythmisch haltend an dem Faden fest.


Gelingt mir irgendwann ein Kunstgebilde.

klarsichtig, fein gesponnen, lieblich zart,

dann freu ich mich, wenn Kenner, im Gefilde

verweilend, auch goutieren Sinn und Art.


Das, was die Spinne täglich locker zeigt,

erlange ich vielleicht nach langem Streben,

wenn mir die Muse gütig bleibt geneigt,

die Feder führt beim sanften Worte Weben