Archive for the Category Nachkriegszeit

 
 

Erinnerungen an die Nachkriegszeit

(Der erneute Fund einer Fliegerbombe
und die Evakuierung der Menschen weckt
Erinnerungen an die Nachkriegszeit.)

Die Waffen schwiegen, das Leben
trug grau noch des Hungers Kleid.
Doch unser kindliches Streben
konnte es spielend verweben,
wir kannten größeres Leid.

Des Krieges Bomben entronnen,
meist ohne Habe und Haus,
wurde erneut nun begonnen.
Da wir das Leben gewonnen,
lockte uns Freiheit hinaus.

Kinder, dem Spiel überlassen,
zu neuem Dasein bereit,
lebten wir auf in den Gassen,
lernten, was nützlich erfassen
in Trümmern der Nachkriegszeit.

Die kleinen Freuden,bescheiden;
das sollten Wünsche wohl sein.
Da gab es kein Marken-Neiden,
durch Mutters Nähkunst war’s Kleiden
nützlich, normal, also fein.

Ein Buch, einen Apfel zum Fest,
die Flöte, ein Hauch von Kultur
erblühte in Trümmern.Ein Nest
der Wärme, die Mutter! Das Best’
war doch ihre Liebe pur.

© Ingrid Herta Drewing,2015

Neuordnung

Die Last der Jahre stapelt sich in Schränken,
auch die Regale nehmen nichts mehr auf.
Nun wird es Zeit, die Habe zu verschenken,
nichts zu erübrigen für neuen Kauf.

Dem Nachkriegskind fällt’s schwer, sich da zu trennen,
weiß es doch noch, wie kostbar alles war:
die ersten Bücher, die es durft‘ sein eigen nennen,
die ihm die Welt erschlossen, hell und klar.

Doch vieles, was man hat, wird zum Ballast.
Drum gilt es nun, sich tunlichst zu befreien,
sich neu zu ordnen ohne Stress und Hast,
dem Leben neuen Glanz im Licht verleihen.

Auf dass man vorwärts gehe unbeschwert
und schaue auf des Lebens wahren Wert.

© Ingrid Herta Drewing,2015
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Kindheit im Nachkriegssommer

Wir spielten in Trümmern und staubigem Licht;
die Straße war unsere Welt,
beim Völkerball auch unser Feld.
Es war da nur selten ein Auto in Sicht;
dazu fehlte ja damals das Geld.

Wir waren noch klein, erlebten die Not
der Eltern aus anderem Blick
und fanden das kindliche Glück.
Doch brachten auch Waffenspiele den Tod,
manch Opfer durch Krieges Relikt.

Die Enge des Wohnraums trieb meist uns hinaus,
doch Freiheit konnten wir fühlen,
auf Wiesen, in Wäldern spielen.
Es hielt uns kein Gameboy, kein TV im Haus,
nichts ließ uns da neidvoll schielen.

Kein Zuckerschlecken, noch üppiger Schmaus!
Der Hunger hieß uns oft warten;
Gemüse aus Opas Garten
und Früchte trugen wir dankbar nach Haus,
ein frugales Mahl zu starten.

Im Sommer gab’s Graubrot, Zwiebeln, Tomaten
mit Salz, das konnt köstlich munden.
An Herzkirschen, prallen, runden,
den selbst gepflückten, wir uns gütlich taten
in unbeschwerten Stunden.

© Ingrid Herta Drewing,2014

Das Herder-Lexikon

Heute beim Abstauben der Bücher hielt ich sie wieder einmal in Händen, die drei großen,grünen Bände, „ DER NEUE HERDER“. Wie oft hatten mich meine erwachsenen Kinder schon darum gebeten,ich möge sie endlich entsorgen. Vieles, was darin stehe, sei ohnehin veraltet. Außerdem hätte ich doch den Brockhaus im Regal, zudem gebe es auch noch die Möglichkeit, mich im Internet kundig zu machen.
Aber ich habe es bis zum heutigen Tag nicht übers Herz gebracht, mich von diesem Lexikon zu trennen; zu viele Kindheitserinnerungen verbinde ich damit.

Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich meine Mutter, die eine sehr starke Frau war, weinend im Zimmer sitzen sah. Der Anlass dafür war dieses Lexikon. Mein Vater hatte sich von einem Vertreter, der ihm die Vorzüge dieses Werkes anpries, den Kauf aufschwatzen lassen und die Subskription unterschrieben; allerdings konnte man den Betrag von 150 DM in Raten bezahlen.
Na und, 150 DM, das geht doch, würde man heute locker sagen. Aber mein Vater verdiente im Monat 60 DM. Davon mussten sechs Personen leben.Auch wenn damals die Lebensmittelpreise niedriger waren als heute( fünf Pfennige kostete ein Brötchen) musste meine Mutter schon sehr gut haushalten, um alle mit dem Nötigsten zu versorgen. In der heutigen Wegwerfgesellschaft kann man sich gar nicht vorstellen, wie sparsam man mit den Mitteln umgehen musste.Zum Glück gab es da noch die Naturalien aus Opas Schrebergarten, die Mutter sich aber mit ihren Geschwistern teilte.

Es war für sie nicht leicht, vier heranwachsende Kinder und einen Mann, der körperlich schwer arbeiten musste, zu ernähren.Ich kann mich noch gut daran erinnern,dass mein großer Bruder einmal, als er für die Familie Brot kaufen sollte, auf dem Heimweg fast schon einen ganzen Laib aufgegessen hatte, und wie schlimm es war, wenn man ein paar Tropfen Milch verschüttete, weil man das Milchkännchen, in das die Milch vom Kaufmann schoppenweise eingefüllt wurde,nicht ruhig genug nach Hause getragen hatte.Vieles, was für uns heute selbstverständlich ist,gab es nicht oder konnte von dem wenigen Geld nicht erstanden werden.

Deshalb freuten wir uns über die Schulspeisung, die es für uns Schüler ab 1952 manchmal gab, warmer Kakao und Kekse.Ansonsten sammelten wir Pilze, Walderdbeeren, Himbeeren,Brombeeren,Heidelbeeren und Fallobst, wenn der Bauer es erlaubte.So klein wir waren, halfen wir doch auch gern bei der Kartoffelernte auf dem Feld bei Bauer Ismar, weil wir dann auch ein paar Kartoffeln mit nach Hause nehmen durften. Aus den Bucheckern, die wir gemeinsam mit Mutter sammelten,konnte man sich in einem Laden in der Bleichstraße Öl pressen lassen, und die leckeren Esskastanien, die wir in den Herbstferien bereits morgens um sechs Uhr „Unter den Eichen„ aufsammelten,waren eine Köstlichkeit.

Ich weiß trotzdem nicht, wie Mutter es schaffte,uns alle über die Runden zu bringen.Ich hatte nie das Gefühl, wirklich zu hungern und denke noch heute daran, wie herzhaft das Tomatenbrot mit Zwiebeln und Salz im Sommer mundete und das Schmalzbrot im Winter, wenn zuvor die Mischbrotscheiben auf dem Kohlenofen in der Wohnküche getoastet worden waren.

Obwohl ich erst acht Jahre alt war, konnte ich den Kummer meiner Mutter gut verstehen, wenn sie sich fragte, wie wir nun auch noch dieses teure Lexikon bezahlen sollten. Vater tröstete sie und sagte, er werde wieder einige Bilder malen und an Herrn Ikstadt verkaufen.

Er malte hinreißend schöne Aquarelle, die von den amerikanischen Soldaten in Ikstadts Geschäft in der Langgasse als Souvenir gekauft wurden. Viel verdiente Vater ja nicht daran. Wie es allen Künstlern früher erging,machte auch hier der Kunsthändler den besseren Schnitt. Aber das Malen an sich bereitete Vater Freude. Wenn er seine gebirgigen Winterlandschaften mit dem Pinsel zum Leben erweckte, malte er, der Heimatvertriebene, sich all seine Sehnsucht nach dem verlorenen Sudetenland von der Seele. Mutter, die mit mir und dem kranken Großvater, der ausgemustert war, während des Krieges und kurz danach alleine lebte, hatte Vater,einen Witwer mit zwei Kindern, im Winter 1946 beim Schreiner Werner kennen gelernt, wo er arbeitete. Werners Frau war eine ihrer Kundinnen.

Wie glücklich war ich, als die beiden heirateten, und ich meine drei Jahre ältere Schwester Renate und den sechs Jahre älteren, großen Bruder Herbert bekam. Als dann 1949 Wölfchen, unser kleines Brüderchen geboren wurde, war unsre Patchwork-Familie, wie man so etwas heute nennt, komplett. Und obwohl das Leben damals nicht immer leicht war, fühlte ich mich in dieser Familie geborgen.

Der Tag im Jahre 1952, an dem das Prachtwerk von einem Lexikon geliefert wurde, ist mir noch recht gut im Gedächtnis.Es wurde vorgeführt, wie es heute manche Leute mit einem neuen Auto machen. Nachdem wir alle die Hände gründlich gewaschen und abgetrocknet hatten,durften wir es uns anschauen.Die Eltern präsentierten uns einen Traum, in Grün eingebunden,Bücher,in denen sich uns ein andere Welt offenbarte.
Wir hatten ja kaum Bücher, da im Krieg fast alles verbrannt war.Ich besaß einen Katechismus mit Zeichnungen, ein Märchenbuch und den Struwwelpeter.Und nun war da dieses Lexikon,das nicht nur vieles erklärte, sondern auch reichlich mit Bildern illustriert war. Besonders beeindruckten mich die Farbtafeln, die den Menschen, seine Muskeln, Knochen und inneren Organe zeigten. Wunderschön erschienen mir auch die farbigen Zeichungen von Tieren und Pflanzen.Während die meisten anderen Familienmitglieder nur in das Buch schauten, wenn sie etwas nachschlagen wollten, las ich von nun an intensiv darin und holte mir so die fremde Welt nach Hause. Und das lag nicht nur an meinem großen Wissensdurst, sondern auch darin, dass mir bewusst geworden war, wie teuer dieses Buch war.
Hier wurde mit der Grundstein für meinen Bildungshunger gelegt, weil ich damals unbewusst erfahren habe, welche Schätze sich in Büchern verbergen.

© Ingrid Herta Drewing

Der falsche und der echte Nikolaus

Als Kind ist man in besonderem Maße dazu bereit,an Geheimnisvolles und Wunderbares zu glauben. Vor allem die Advents – und Weihnachtszeit weckt da viele Erwartungen, die ja auch durch die Erzählungen der Erwachsenen noch genährt werden.
Das war für mich als Kind in der Nachkriegszeit nicht anders. Am Nikolaustag hielt ich deshalb schon morgens Ausschau nach dem heiligen Mann, der ja an seinem roten Kapuzenmantel und dem großen Sack zu erkennen sein sollte.Angeblich sei der Sack nicht nur für Geschenke, sondern auch für unartige Kinder gedacht, die auch mit der Rute von ihm bestraft würden.Mir war der Nikolaus noch nie begegnet, aber bei unserem Bäcker hatte ich in der Auslage so eine Rute gesehen.Sie war mit leckerem Zuckerwerk behangen.Also konnte das ja nicht allzu schlimm sein. Dennoch war mir bei dem Gedanken an eine mögliche Strafe nicht ganz geheuer. Wir Kinder kannten ja damals nicht das Bild des wonnigen Weihnachtsmannes aus der Fernsehwerbung, wie es heute verbreitet wird. Das einzige Nikolausbild, das ich kannte, war das aus dem alten Struwwelpeterbuch.Darin straft ein riesengroßer Nikolaus die bösen Buben,indem er sie am Schopf fasst und tief in schwarze Tinte taucht, weil sie den Mohren ausgelacht haben.
Nun ja, ich hatte zwar keinen dunkelhäutigen Menschen verspottet( die amerikanischen Soldaten, die wir sahen, nötigten uns ja schon durch ihre Uniform und ihre Bewaffnung Respekt ab),aber immer brav war ich auch nicht gewesen.Meine Mutter, die zum Glück vor dem Krieg im Frisiersalon ihres Vaters das Handwerk sehr gut gelernt hatte und auch ohne Salon nach dem Krieg noch gefragt war, wodurch sie uns ernähren konnte,nahm mich bei ihren Hausbesuchen zu ihren Kundinnen mit. Da musste ich dann immer ganz sittsam sein und warten, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war. Manche Kundinnen wollten im Winter nicht, dass ihre langen Haare gewaschen wurden, und Mutter musste ihnen dann mit ihrer Brennschere Locken in die fettigen Haare ondulieren, was nicht gerade angenehm roch. Ich durfte mir das aber nicht anmerken lassen, und das fiel mir nicht immer leicht.
An einem Nikolausabend kamen Mutti und ich wieder von so einem Kundenbesuch nach Hause zurück.Ich war sehr aufgeregt, denn es war schon mehrmals an diesem Tag vom Nikolaus die Rede gewesen.Als wir im ersten Stock des halb zerstörten Mietshauses, in dem wir seit Kriegsende wohnten, angekommen waren, sahen wir vor uns den Nikolaus, wie er die Stufen zu Dörrs, unseren Nachbarn, hoch stieg. Ich blieb erschrocken stehen; auch meine Mutter ging nicht weiter. Denn aus dem Sack, den der Nikolaus trug, baumelten unten zwei Kinderbeine heraus.Welches arme Kind wurde da bestraft? Würde ich jetzt auch in den Sack gesteckt? Ich fürchtete mich und versteckte mich hinter meiner Mutter, bis der vermeintliche Nikolaus in der Wohnung der Nachbarn verschwunden war.
Meine Mutter strich mir liebevoll über das Haar und erklärte mir, das sei gar nicht der echte Nikolaus.Da habe sich jemand nur einen dummen Scherz ausgedacht und ausgestopfte, beschuhte Strümpfe an den Sack genäht, um andere damit zu erschrecken.
Obwohl ich meiner Mutter vertraute, war ich mir doch nicht so ganz sicher, ob das so war.
Als es dann eine halbe Stunde später an unsrer Wohnungstür klingelte, versteckte ich mich hinter der geöffneten Zimmertür, weil ich fürchtete, jetzt würde auch ich in diesen Sack gepackt.
Wie erleichtert war ich, als eine dunkle, sanft klingende Stimme sagte, er sei der Nikolaus und habe gehört, dass hier ganz liebe Kinder wohnen.Er trat zu meinem Brüderchen ans Gitterbettchen und segnete das Kind. Nun wagte auch ich mich aus meinem Versteck und sah einen wunderschönen Nikolaus vor mir.Er war in ein mit goldenen Borten verziertes, weißes,langes Gewand gekleidet, trug eine Bischofsmitra und hielt einen Bischofsstab in der Hand.
Ich weiß nicht mehr, was mich mehr beindruckte, der weiße Rauschebart, die wohlklingende Stimme oder der freundliche,gütige Blick.Seine ganze Erscheinung hatte für mich etwas Wunderbares,und ich wusste, das war der echte Nikolaus, nur so konnte der heilige Mann sein, gütig, nicht strafend, und froh nahm ich den Apfel, den er mir reichte.
Jahre später erfuhr ich, wer uns Kinder da beglückt hatte. Es war der älteste Sohn unseres Bäckers aus der Nachbarschaft gewesen, der sich, da er Priester wurde, die passende Kleidung ausgeborgt hatte, um uns Kindern eine Freude in der schweren Nachkriegszeit zu machen.

© Ingrid Herta Drewing