Sprachlos

Schon dreimal war er um den Block gefahren. Wie sollte er es ihr nur sagen?
Der sichere Arbeitsplatz, wie sie ihn alle Jahre genannt hatten, den gab es nicht mehr, betriebsbedingte Kündigung! Seit drei Monaten schleppte er diese Bürde mit sich herum, belog er sie, indem er morgens, wie gewohnt , um sechs Uhr aus dem Haus ging und die vermeintlichen 35 km zur Arbeit fuhr. Stattdessen bemühte er sich darum, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Von seinem Sparbuch, das er für besondere Überraschungen , Geburtstage, Weihnachten und Urlaub heimlich angelegt hatte, überwies er regelmäßig Beträge in der Höhe seines Monatsgehalts auf das gemeinsame Konto. Ja, er hatte an alles gedacht.
Er wollte es ihr erst dann beichten, wenn er wieder eine neue Anstellung hatte.Vor kurzem war sie von einer schweren Krankheit genesen, wie konnte er ihr da mit dieser Hiobsbotschaft kommen.
„In ihrem Alter wird es schwer sein, in diesem ohnehin strukturschwachen Raum einen neuen Arbeitsplatz in ihrem Beruf zu finden“, hatte man ihm unmissverständlich gesagt. 45 Jahre und zu alt! Hatte er nicht all die Jahre hervorragende Arbeit geleistet, und nun waren plötzlich nur noch Zwanzigjährige gefragt! Das soll mal einer verstehen!
Aber alles Sinnieren nutzte nichts, er musste sich eingestehen, dass er hier so schnell keine neue Arbeit finden würde. Er musste es seiner Frau endlich sagen; denn die Raten für das Häuschen würden sie auch nicht weiter bezahlen können. Auch waren seine Ersparnisse fast aufgebraucht.
Langsam schloss er die Wohnungstür auf. Sie erwartete ihn bereits lächelnd am Tisch. “Schön, dass du etwas früher nach Hause gekommen bist. Die Kinder sind noch auf dem Sportfest; so sind wir ungestört.Setz dich doch bitte! Ich habe nämlich etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.“ „Ich auch mit dir“, sagte er leise und setzte sich zu ihr an den Tisch.“

Ingrid Drewing


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