Geometrischer Dialog

In einem Malbuch sich befanden
vier Flächen, die sich nahe standen,
ein Dreieck, Rechteck, auch ein Kreis
und ein Quadrat, die Flächen weiß.
Sie warteten dort sehr gespannt,
wer sich zuerst bemalt wohl fand.

Das Rechteck sprach zum Dreieck dreist:
„Ich sag’ es dir, damit du ’s weißt.
Du armer Wicht hast nur drei Ecken
und solltest dich vor Scham verstecken.
Es fehlt ein Eck dir, drum sei leise,
entferne dich aus unsrem Kreise.
Denn wir vom Viereck, ganz apart,
sind sehr erlesen so als Art.
Kein Quader möchte uns vermissen.
Beim Hausbau sucht man, sehr beflissen,
nur uns in rechten Formen aus.
Pakete, Kisten, Schränke, Truhen,
ja selbst in Betten gäb ’s kein Ruhen,
wär’n wir als Rechteck nicht im Haus.
Gewiss malt man zuerst mich aus!“

Das Dreieck fühlt die Ehr’ verletzt
und antwortet nun sehr vergrätzt:
„Was soll hier dies’ Diskriminieren,
voll Hochmut mich zu schikanieren?
Frag’ das Quadrat, es sagt es dir,
trägt gerne uns als Form; gleich vier
von uns birgt es in sich,
diagonal braucht ’s nur zwei Strich.
Und weil du mit den Bauten prahlst,
mir deine große Welt ausmalst,
so lass mich damit nun zufrieden;
denk’ an die Form der Pyramiden!
Hier strahlt jahrtausend alter Glanz,
im Dreieck sind die Seiten ganz.
Selbst Hüte trug man mit drei Ecken!
Ich muss mich wirklich nicht verstecken;
Und hab’ ich auch nur Ecken drei,
bin ich gewiss zuerst dabei!“

Verwundert hörten ’s Kreis, Quadrat,
wie sie in nicht sehr feiner Art
noch lange miteinander stritten.
Da plötzlich kam ein Stift geglitten,
der strich die Mecker-Ecken aus.
Als Smiley hob den Kreis er raus,
zum Würfel malt er das Quadrat,
mit schönen Punkten, rund und zart.

Oft greift das Schicksal so ins Leben
und macht, was hoch will, schlicht und eben.

© Ingrid Herta Drewing

Das alte LIed

Wer singt hier,hat gesungen
das alte falsche Lied
und hat sich ausbedungen,
dass nun auch noch den Jungen
blauäugig Unheil blüht?

Die Marsch- und Kampfgesänge
nun wieder aufpoliert,
wenn völkisch man die Enge,
die nationalen Zwänge
allseitig postuliert.

Sie wachsen wie die Pilze
auch in Europas Wald,
verflechten sich im Filze;
ihr Populist-Gesülze
kennt Fakten nicht,noch Halt.

Schon mehren die Despoten
die Pfründen, drauf bedacht,
entschlossen auszubooten
die Freiheit der Bedrohten,
zu sichern eigne Macht.

Ach wär’s doch nur Theater,
dies Drama obsolet!
Ein Jago als Berater,
ein Bann on smoky water
doch unsrer Welt nicht steht.

© Ingrid Herta Drewing,2017

Tischgespräch

Die Marmelade sprach zur Butter:
„ Ich bin gar köstlich, frag’ die Mutter,
die hier uns auf den Tisch gestellt,
ich munde allen auf der Welt!
Doch du hingegen bist nur fett.
Gar viele finden das nicht nett
und nehmen dich nicht auf ihr Brot,
wo ich erstrahle gelb, grün, rot.
Ich bin aus allerfeinsten Früchten;
da reichst du nicht heran, mitnichten!“

„ Ach, meinst du“, sprach die Butter da,
„ dir ist wohl vieles gar nicht klar,
sonst wüsstest du, dass ich als Butter
zu vielem tauge, frag’ die Mutter!
Wenn uns besondre Gäst’ besuchen,
wählt sie mich aus für leckre Kuchen.
Auch darf ich bei sehr vielen Speisen
erst den Geschmack so richtig weisen;
und kommt vom Bäcker frisch das Brot
nimmt man mich als Belag, nie Not
herrscht ohne dich, du Marmelade.
Niemand vermisst dich, schade, schade!“

Der Honig und die Margarine,
die standen schmunzelnd nebenan;
die Leberwurst, die Ölsardine,
die hatten helle Freude an
dem Streitgespräch der eitlen beiden,
das Zuhör’n ließ sich kaum vermeiden.

Der Käse meint’: “Das stinkt zum Himmel,
lasst endlich euren Hochmutfimmel!
Wir alle sind doch, bitte sehr,
nur Lebensmittel und nicht mehr.
Ein jedes ist auf seine Art
von Nutzen und steh’ nicht à parte.
Darum erspart uns diese Bürde,
hier aufzurechnen unsre Würde!“

© Ingrid Herta Drewing