Die eitle Giraffe

Wer glaubt, es gäb’ nur eitle Affen,
sonst sei Bescheidenheit die Zier,
kannte nicht Josy, die Giraffe,
und ihre große Modegier.

Dort, wo im Grase der Savanne
die schönen Schirmakazien blühen,
sah man sie oft, ohne zu spannen,
am frühen Morgen stolz schon ziehen.

Sie kriegte ihren Hals nicht voll,
den langen, trug ihn stets geschmückt,
in voller Größe, Zoll für Zoll,
mit Bändern, Klunkerkram bestückt.

Sie wollte, um sich abzugrenzen
von allen andern in der Herde,
mit ihrem Schmuck besonders glänzen
und glaubte, dass berühmt sie werde.

Nach den Touristen, ohne Scheu,
mochte sie sich den Hals verrenken,
um ihre Mode immer neu
zum allerletzten Schrei zu lenken.

Es warnten sie zwar ihre Schwestern:
„ Pass auf! Dort droht für dich Gefahr!“
Sie meinte nur: „ Ihr seid von gestern,
ich aber werd’ ein Modestar!“

So kam ’s, sie schritt mit langen Beinen
den Catwalk am Hotelpool lang,
verfing sich in der Absperrleine
und torkelte wild in den Gang.

Man jagte schnell mit Schimpf und Schande
aus dem Hotel das eitle Tier.
Das lief ins Auto, dort am Rande,
brach sich die Beine, alle vier.

Ja, manchmal liegt mit eitlem Streben
man auf der Welt total daneben.

© Ingrid Herta Drewing