Kalles Verschwinden

Kalle stand allein am Tresen,
wollte zwei, drei Whiskey lesen*,
(*weil der Reim es so verlangt),
und er wegen seiner Spesen
niemals machte Federlesen,
in der Schänke ward getankt.

Hinterher schwankt‘ er nach Hause,
denn doch länger war die Sause.
Er ließ sich auf Sekt noch ein;
mit ihm schlürfte das wie Brause
zugesellt ihm ihm eine “ Mausi“,
ja manch Gläschen rollte rein!

An der alten Gaslaterne
sah der Kalle plötzlich Sterne,
war glatt gegen sie gerannt,
stammelte, man sich entferne,
denn er wolle eben gerne
geh’n den Weg, der ihm bekannt.

Doch dies Monster wollt‘ nicht weichen!
Um sein Ziel noch zu erreichen
brüllte Kalle laut vor Wut:
„ Hörst du nicht, du sollst dich schleichen,
sonst fällst du wie alte Eichen,
die ein Blitzschlag setzt in Glut!“

Vergebens war die Schrei-Aktion,
da folgte keine Reaktion,
es rührt‘ partout sich nicht vom Fleck.
Nur dort im Haus auf dem Balkon
rief man: „ Nun geh‘ entfern dich schon,
sonst holt die Polizei dich weg!“

Da fühlte Kalle sich betroffen
und merkte, dass er viel gesoffen,
fand Polizei auch obsolet,
sprach‘:„ Liebe Leut, ich sag’s euch offen,
mich hat hier fest ein Schlag getroffen,
es war der Kerl, den ihr hier seht!“

Dann torkelte er heimwärts weiter,
er war kein elend langer Streiter,
denn friedlich war er von Natur.
Nur an dem Baugerüst die Leiter
erklomm er höher,war recht heiter.

Seitdem fehlt von ihm jede Spur.

© Text: Ingrid Herta Drewing

Stars Kirschen

Es sitzt ein Star auf einem Ast,
genießt das süße Leben;
die roten Kirschen ohne Hast
genüsslich da sein Schnabel fasst;
was kann es Bess’res geben?

Doch während er noch schnabuliert,
legt man hoch an die Leiter.
Der Star, den das jetzt sehr brüskiert,
fühlt sich vom Schicksal schikaniert,
fliegt flugs ein Bäumchen weiter.

Jedoch währt dort sein süßes Glück
auch nur für kurze Zeit,
Ein Mensch mit Leiter kehrt zurück,
auf dass er seine Kirschen pflück‘,
zur Ernte wohl bereit.

Der Star erkennt, sein Paradies
muss er mit andern teilen:
Was ihm der Mensch noch übrig ließ,
ihm letztlich auch Genuss verhieß,
erlaubt‘ ihm zu verweilen.

© Text: Ingrid Herta Drewing,2018
Foto: Pixabay