Erinnern und Vergessen

Sie waschen sich die Asche aus den Haaren,
die sie sich öffentlich auf ’s Haupt gestreut,
zu zeigen, dass man falsche Tat zutiefst bereut,
doch auch um Schuld nicht länger zu bewahren.

Recht schnell füllt man den Tag mit Dur-Akkorden.
Das Leben muss ja weiter gehen, Kind!
Mit Leib und Leid und allen Tränen sind
sie so rhetorisch fertig flugs geworden.

Die Zeit hat Flügel, lässt sehr viel erfahren,
webt mit am Blanko-Buch und am Vergessen,
schreibt stets das Schöne auf, was man besessen.

Und dennoch gibt es Menschen, die nach Jahren
noch immer sich erinnern und bewahren,
was man an Leid ertragen, Schuld ermessen.

©  Ingrid Herta Drewing, 2021

Buchstäbliches Geschehen

Ein B trifft das All,
sagt: „Nimm mich zum Ball,
umkreisend die Sonne als Erde;
das W hilft beim Werden.“
Das W weiß, das war’s,
steht Kopf und wird Mars
in der Planetenherde.

*

Das R verließ zwei Rehe.
Sie fanden sich in Ehe,
obwohl sie doch recht scheue.
Und als das T der Treue
dann eines Tags verblich,
nahm jedes nun für sich,
ganz ohne R der Reue
ein N; sie wurden Neue.

© Ingrid Herta Drewing