Blatt-Los

Es pflückt der Wind
vom Baum das Blatt,
lässt wirbelnd es erbeben,
im Tanze lind
hoch in die Lüfte streben;
bis es dann matt,
des Fluges satt
dort auf den See darf schweben.

Ein kleiner Stein
geworfen ward,
taucht ein ganz dicht daneben,
und Wellen sich erheben.
Sie tragen zart
in weiten Kreisen,
die sicher nun
zum Ufer reisen,
das Blatt ins Erdenleben.

© Foto u. Text: Ingrid Herta Drewing

Der Rheinkiesel

Es lag allein am Rhein
im Staub ein Kieselstein.
Ein Kind ihn freudig fand
am Ufer, hob die Hand,
warf ihn ins Wasser rein.

Und an der Eintauchstelle
sprang auf die kleine Welle.
Sie ging, in großen Kreisen
sich weitend, dann auf Reisen;
die Fahrt gewann an Schnelle.

Dabei trug sie ein Blatt,
das flugs der Wind dort hatt‘
zum Wasser hin geweht.
Als Boot es sich erfleht‘,
ein Käfer, der sehr matt.

Marienkäferlein
ruhte sich aus ganz fein.
Nach einer kleinen Pause
flog er erholt nach Hause
und ließ das Reisen sein.

Und unser Kieselstein?
Der war nicht mehr allein.
Im Flussbett mit den Seinen,
den vielen andren Steinen,
rollt weiter er im Rhein.

© Ingrid Herta Drewing,2014

Das Blatt

Am Baume hing ein letztes Blatt,
sanft schaukelnd in den Zweigen.
Obwohl Wind wild gewirbelt hat,
verschmähte es den Reigen,
der hoch hinauf in Lüfte fand
und letztlich doch in Tiefen schwand,
in welken Todes Schweigen.

Es konnte sich noch halten dort,
allein in Sturm und Regen;
hier lebend am gewohnten Ort.
Zwar war nicht mehr zugegen
das Laub, das es so warm gehegt,
in seiner Mitte zart bewegt,
das war für immer fort.

Wie tapfer blieb das kleine Blatt,
ertrug des Frostes Beißen,
den Nebel; auch den Raureif glatt
versucht‘ es abzuweisen!
Doch als der erste Schnee dann fiel,
sah es sich wohl beglückt am Ziel
und ging beherzt auf Reisen.

Mit tausend Sternchen schwebt’s zur Erde
im Tanz der Flocken aus der Höh‘.
Nun schläft es, bis es Frühling werde,
den langen Traum im weichen Schnee.

© Ingrid Herta Drewing,2013

Schönes Blatt

Hier in meinen stillen Morgen
schwebte sanft dies‘ Amberblatt,
das vor kurzem noch geborgen
dort am Baum gebaumelt hat.

Unbändig mit seinen Schwestern
konnt‘ es hoch in Lüfte steigen,
als der Wirbelwind sie gestern
wild geholt in seinen Reigen.

Kurz war er, der Tanz des Blattes,
blieb im Hof bald reglos liegen,
doch ein leichter Wind heut‘ hat es,
goldenrot, gelockt zu fliegen.

Sorgsam will ich es bewahren,
ihm dies Farbgesicht erhalten
in dem dicken Buch; nach Jahren
wird’s beim Anblick Freud‘ entfalten.

© Ingrid Herta Drewing,2013

Blatt-Los

Es pflückt der Wind
vom Baum das Blatt,
lässt wirbelnd es erbeben,
im Tanze lind
hoch in die Lüfte streben;
bis es dann matt,
des Fluges satt
dort auf den See
darf schweben.

Ein kleiner Stein
geworfen ward,
taucht ein
ganz dicht daneben,
und Wellen sich erheben.
Sie tragen zart
in weiten Kreisen,
die sicher nun
zum Ufer reisen,
das Blatt ins Erdenleben.

© Ingrid Herta Drewing, 2013